Der Tomatenfisch hilft, das Bewusstsein für Lebensmittel zu schärfen

Interview mit dem Biologen Prof. Dr. Werner Kloas vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei: Nachhaltig, wassersparend, artgerecht: Tomaten und Fische können in einem gemeinsamen System zusammen gezüchtet werden. Frischer Fisch und junges Gemüse für städtische Ballungszentren – ein Projekt des Bundesforschungsministeriums:

Was haben Tomate und Fisch gemeinsam? Auf den ersten Blick nicht viel. Schaut man jedoch genauer hin, gibt es eine Vorliebe, die die Tomate und eine spezielle Fischart, der Tilapia, teilen: Der Tilapia ist ein Warmwasserfisch. Bei 27 Grad und in einem entsprechenden Becken gefällt es ihm am besten. Auch die Tomate mag viel Wärme. Das vom Bundesforschungsministerium geförderte Projekt ASTAF-PRO vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) macht sich diese Gemeinsamkeit zunutze und lässt Tilapia-Fische zusammen mit Tomaten in einem Gewächshaus gedeihen. Beide Kreisläufe werden kombiniert, das System ist nachhaltig und emissionsfrei. So können erhebliche Mengen Wasser gespart und das genutzte Wasser wiederverwertet werden. Auch der Einsatz von Mineralstoffdüngern ist kaum nötig. Der Vorteil liegt auf der Hand: ASTAF-PRO ist auch in wasserarmen Gebieten gewinnbringend einsetzbar. Aber nicht nur das: Das System funktioniert auch in städtischen Ballungsgebieten. „Frischer Fisch und junges Gemüse kommen so ohne Umwege auf unseren Tisch“, sagt der Biologe Prof. Dr. Werner Kloas vom IGB. Nachhaltigkeit beinhalte wirtschaftliche, ökologische und soziale Aspekte, sagt der Biologe. Denn: „Mit ASTAF-PRO kann man rentabel arbeiten, die Umwelt schonen und Fische artgerecht halten.“

Herr Professor Kloas, Sie sind Biologe und haben gemeinsam mit Ihren Kollegen das „Tomatenfisch“-System entwickelt. Tomaten und Fische – wie passt das zusammen?
Auf den ersten Blick vielleicht nicht. Schaut man jedoch genauer hin, gibt es eine Vorliebe, die die Tomate und der Tilapia, eine Barschart, miteinander teilen: Der Tilapia ist ein Warmwasserfisch. Bei rund 26 °C fühlt er sich besonders wohl. Das ist so ungefähr die Wärme, die auch die Tomate braucht, um Farbe, Reife und Geschmack zu bekommen. Am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei – kurz IGB – machen wir uns diese Gemeinsamkeit zunutze und lassen Tilapia und Tomaten zusammen in einem Gewächshaus gedeihen. Daher der Name Tomatenfisch. Die entsprechende Zuchtform der Fische nennt man Aquakultur, die der Tomaten Hydroponik. Daraus ergibt sich zusammen das kombinierte System Aquaponik.

Ist das eine neue Idee?
Nein. Die Grundlagen dieser Technik sind schon seit einigen Jahrzehnten bekannt, aber die Effizienz ließ zu wünschen übrig. Am IGB haben wir das System neuartig kombiniert. Wir züchten Fisch und Gemüse in zwei getrennten Systemen, die nur bei Bedarf miteinander kombiniert werden. So lassen sich ideale Lebensbedingungen für beide Arten herstellen. Zusätzlich ist unsere Tomaten- und Fischproduktion nahezu emissionsfrei und äußerst wassersparend. Unser System heißt ASTAF-PRO. Das steht für Aquaponik-System zur nahezu emissionsfreien Tomaten- und Fisch-Produktion in Gewächshäusern. Es ist bereits in 38 Ländern patentiert. Vom Bundesforschungsministerium ist das Gesamtprojekt in verschiedenen Teilabschnitten mit rund 1,2 Millionen Euro gefördert worden.

Wie funktioniert ASTAF-PRO genau?
Grundlage ist zunächst ein geschlossenes Gewächshaus. Es schützt Fisch, Gemüse und Technik vor schädlichen äußeren Einflüssen. Im Umkehrschluss werden auch keine Stoffe in die umliegende Umwelt herausgetragen. Durch die geschlossene Hülle können Wärme und Wasser weitgehend im System gehalten werden. Das Grundprinzip: Wenn die Fische ihr Futter fressen, entsteht in ihrem Stoffwechsel Ammonium. Das ist in zu hoher Konzentration schädlich für Fische und Pflanzen. Mit Hilfe von Bakterien kann es jedoch zu Nitrat abgebaut werden. Und das nitratreiche Wasser ist ein hervorragender Pflanzendünger! Es kann immer dann zu den Pflanzen geleitet werden, wenn sie Nährstoffbedarf haben. Die Pflanzen wurzeln in Steinwollematten. Über ihre Wurzeln nehmen sie das Wasser und Nährstoffe auf – und verdunsten es am Ende wieder reines Wasser über ihre Blattoberfläche. Der Wasserdampf kann dann – kurz gesagt – kondensiert und bei Bedarf dann in flüssiger Form wieder in den Fischkreislauf eingespeist werden. So haben wir pro Tag nur rund drei Prozent Frischwasserverlust, konventionelle Systeme liegen weit darüber. Das macht ASTAF-PRO auch für die trockenen Gebiete der Erde besonders interessant.

Heißt das, Wasser, Rohstoffe und Energie werden doppelt genutzt – einmal für die Gemüse- und einmal für die Fischproduktion?
Genau. Zusammen bilden die Produktionseinheiten ein absolut nachhaltiges, äußerst klimafreundliches System. Das Kohlendioxid, das die Fische ausatmen, können die Pflanzen aufnehmen, für ihr Wachstum nutzen und in Sauerstoff umwandeln. Wird die nötige Betriebsenergie für die Gesamtanlage aus regenerativen Quellen wie Wind, Sonne oder Biomasse gespeist, arbeitet ASTAF-PRO also nahezu ohne klimaschädliche Emissionen. Zudem liefert Fisch hochwertiges tierisches Eiweiß.

Immer mehr Menschen interessieren sich für nachhaltig produzierte Lebensmittel – sie achten darauf, dass ihr Essen nicht nur billig ist und satt macht, sondern dass bei seiner Produktion auch ökologische und soziale Aspekte berücksichtigt werden. Wie kann der Tomatenfisch da helfen?
Nachhaltigkeit beinhaltet wirtschaftliche, ökologische und soziale Aspekte. Mit ASTAF-PRO kann man rentabel arbeiten, die Umwelt schonen und Fische artgerecht halten. Ebenso bietet das System sichere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigen und gesunde, transparente Produkte für den Verbraucher. Also: Der Tomatenfisch hilft, das Bewusstsein für Lebensmittel zu schärfen. Er ist ein gutes Beispiel zu zeigen, wie man nachhaltiger produzieren und konsumieren kann. Gerade Kinder verstehen durch den Tomatenfisch sehr schnell, worauf es ankommt. Vom geringen Wasserverbrauch habe ich ja schon gesprochen. Weltweit entfallen 70 Prozent des Süßwasserverbrauchs auf die Landwirtschaft, durch ASTAF-PRO kann hier viel Wasser eingespart werden. Zudem: Bestimmte Fischarten wie Tilapia können weitgehend vegetarisch ernährt werden. Anders als zum Beispiel Lachse, die Raubfische sind und tierisches Eiweiß benötigen. Sie kommen bisher nur schlecht ohne Fischmehl oder Fischöl im Futter aus – das aber wird aus Wildfang erzeugt, was wiederum der Überfischung der Meere Vorschub leistet.

Viele Menschen schätzen Fisch auch deshalb so sehr, weil er so gesund ist.
Erstens schmeckt Fisch natürlich sehr gut. Und ja, sein Fleisch ist leicht verdaulich, da die Muskulatur kaum mit Bindegewebe durchsetzt ist. Besonders gesund ist vor allem Seefisch, wegen des hohen Anteils an Selen, Jod und Omega-3-Fettsäuren. Diese Stoffe schützen uns etwa vor Herz-Kreislauf-Krankheiten. Weltweit wird die Aquakultur jedoch zu über 70 Prozent von Süßwasserfisch dominiert. Eine wichtige Forschungsaufgabe ist es deshalb, ein geeignetes Food Design zu entwickeln, also Futter, dass das Fleisch der Süßwasserfische ähnlich gesund macht, wie das der Meeresfische. Auf den Einsatz von Gentechnik kann dabei übrigens sowohl bei den Tieren als auch beim Futter komplett verzichtet werden. In einer nachhaltigen Fischzucht-Kreislaufanlage sind auch längst keine Antibiotikagaben notwendig – anders als früher.

Wo sollen Aquaponik-Farmen denn künftig stehen? Sind sie nur für Entwicklungsländer gedacht?
Nein. „Urban Farming“, die städtische Landwirtschaft, funktioniert auch mitten in unseren großen Ballungszentren. Frischer Fisch und junges Gemüse kommen so ohne Umwege auf unseren Tisch. Die Produktion ist im wahrsten Sinne transparent – im Gewächshaus, in der Stadt. Urban Farming kann eine Lösung für Selbstversorger sein, aber auch große kommerzielle Anlagen könnten integriert werden. Ebenso gibt es große Chancen für den ländlichen Raum in Deutschland. Gerade für die Nutzung von Abwärme – wie zum Beispiel bei Blockheizkraftwerken oder Biogasanlagen – bietet sich der Tomatenfisch an. Ich bin der Meinung, dass der Anteil von Fisch und Gemüse aus heimischer Produktion deutlich erhöht werden sollte und auch könnte. Ebenso vorstellbar ist der Einsatz von ASTAF-PRO in Entwicklungsländern, da es sich um ein sehr robustes System handelt, das bei entsprechender Dimensionierung ohne komplizierte -Steuer- und Regeltechnik auskommt – und eben mit wenig Wasser.

Der Klimawandel sowie der Verlust an Biodiversität sind zwei zentrale Umweltprobleme des 21. Jahrhunderts. Die Vereinten Nationen haben darum die internationale UN-Dekade Biologische Vielfalt von 2011 bis 2020 ausgerufen.
Kann auch der Tomatenfisch helfen, die biologische Vielfalt zu bewahren?
Der Tomatenfisch spart Fläche, er treibt den Verlust von wertvollem, natürlichem Lebensraum also nicht voran. Weil es sich um ein geschlossenes System handelt, gibt es auch keine schädlichen Einflüsse auf die umgebende Natur und ihre Vielfalt. Nachhaltige Aquakultur bietet zudem kontrolliert gezüchteten Fisch, was den Druck auf die Wildbestände mildern kann. Nachhaltige Aquakultur kann auch eine Lösung sein, um bedrohte Arten gezielt zu züchten, sie so zu bewahren und durch Besatzprogramme wieder anzusiedeln. Am IGB gibt es zum Beispiel ein Projekt zur Wiedereinbürgerung des Störs in Deutschland. Darüber hinaus verfügt das IGB über einen eigenen Programmbereich zur Aquatischen Biodiversität.

Die BMBF-Förderung des Projekts läuft jetzt aus. Wie geht es weiter?
ASTAF-PRO ist als Prototyp erfolgreich erprobt, das System patentiert und marktreif. Aktuell befinden wir uns in der so genannten „intermediären Phase“ zwischen Forschung und Praxis. Wir haben jede Woche mehrere Anfragen von potentiellen Investoren und Anwendern. Die Erfahrung zeigt, dass hier handfeste und zahlenbasierte Überzeugungsarbeit geleistet werden muss. Deshalb möchten wir gerne mit Partnern aus der Praxis in Deutschland eine erste Pilotanlage im ökonomisch relevanten Maßstab realisieren und validieren. Es geht uns darum, den potentiellen Anwendern und Investoren hierzulande an einem greifbaren Beispiel zu zeigen, dass ASTAF-PRO eine nachhaltige Investition in die Zukunft ist – aus ökonomischer, ökologischer und sozialer Sicht.

Quelle und Kontakt: Johannes Graupner M.A., Projektkoordinator, graupner@igb-berlin.de, www.tomatenfisch.igb-berlin.de, www.igb-berlin.de, Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) im Forschungsverbund Berlin e.V.

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